Niclas Trube gewinnt Young Scientist Award beim Human Modeling Symposium
Niclas Trube wurde im Oktober 2018 auf dem Human Modeling Symposium in Berlin mit dem Young Scientist Award ausgezeichnet. Sein Beitrag über die Rolle der Muskelsteifigkeit für die Insassensicherheit im Crashfall überzeugte den wissenschaftlichen Rat dieser internationalen Konferenz, die sich der Menschmodellierung und -simulation verschrieben hat.
Grundlage der Präsentation von Niclas Trube war seine am EMI verfasste Masterarbeit »Simulated Muscle Responses upon Frontal Crash Pulse considering Changes in Muscle Stiffness Using THUMS v5« im Studiengang Biochemistry and Biophysics der Universität Freiburg. Durch die Berücksichtigung des modellierten menschlichen Körpers für Crashsimulationen erfährt das Geschäftsfeld Automotive eine strategisch wichtige Weiterentwicklung. Die erfolgreiche Masterarbeit von Niclas Trube, welche von Dr. Matthias Boljen betreut und begleitet und durch Prof. Dr. Alexander Rohrbach (IMTEK, Universität Freiburg) und Prof. Dr. Werner Riedel als Gutachter bewertet wurde, legt damit auch am EMI den Grundstein für den Ausbau dieses aktuellen Forschungsfelds in der internationalen Automotive Community.
Herr Trube hat in seiner Arbeit das Menschmodell THUMSTM Version 5 verwendet, welches von der Toyota Motor Corporation und Toyota Central R&D Labs., Inc. entwickelt wurde. Sein neuer Ansatz rückt die Muskelsteifigkeit bei der Bewertung der Insassensicherheit in den Fokus.
Da Unfallopfer häufig auf den Aufprall vorbereitet sind, sind gewisse Muskelgruppen im Moment des Aufpralls nicht relaxiert, sondern angespannt, was durch vergangene Studien belegt wurde. Über kontrahierbare 1D-Elemente, die an die Knochen des THUMSTM-FE-Modells anbinden, konnte dieser Umstand bereits für die Beeinflussung des Bewegungsapparats in der Vergangenheit umgesetzt werden. Dadurch kann der THUMSTM in der aktuellsten Version 5 erstmals aktive und reaktive Bewegung während eines Crashpulses abbilden, wie beispielsweise das Abstützen am Lenkrad oder Durchdrücken des Bremspedals. Diese Bewegungen sind bei realen Fahrern kurz vor und während des Aufpralls ebenfalls typisch.
In der Biologie spielt allerdings nicht nur die Verkürzung des Muskels während der Kontraktion und die daraus resultierende Bewegung des Skeletts eine Rolle, sondern auch eine Änderung der Materialeigenschaften: Der Muskel wird durch die Kontraktion steifer. So plausibel dies klingen mag, konnte die biologische Forschung in der Vergangenheit den genauen Grad an Steifigkeitszunahme und daraus resultierende Effekte unter Belastung nicht genau bestimmen und untersuchen. Gründe hierfür sind vor allem die hochgradig nichtlinearen Materialeigenschaften des Muskels sowie bisherige Schwierigkeiten in der Entwicklung einer geeigneten Messmethodik zur Charakterisierung biologischer Weichgewebe. Bislang gibt es wenige Studien dazu, wie eine kontraktionsbasierte Muskelsteifigkeitszunahme effizient in Gesamt-Menschmodellen implementiert werden könnte. Es gibt bereits verschiedene Ansätze die Muskelsteifigkeit zu berücksichtigen, welche die Rechenzeit bei Implementierung in Gesamt-Menschmodellen allerdings stark erhöhen könnte. In Herrn Trubes Masterarbeit wird ein alternativer Ansatz vorgeschlagen, basierend auf dem THUMS v5 Menschmodell. Es werden vier verschiedene Steifigkeitszustände von stark relaxiert bis maximal, tetanisch kontrahiert über eine Änderung spezifischer Materialeigenschaften der THUMSTM-Muskelgruppen definiert.
Der Einfluss dieser Änderungen wurde anschließend für einen simulierten frontalen Crashpuls untersucht. Da im Menschmodell standardmäßig lediglich ein entspannter Muskelzustand voreingestellt ist, galt es, die richtigen Parameter für die Steifigkeitsgrade zu identifizieren, um sie für den THUMSTM Version 5 zu definieren.
Eine knifflige Aufgabe, zumal im Bereich Insassensicherheit noch keine Daten zu Steifigkeitsänderungen von Muskeln in der Literatur vorlagen. Niclas Trube adressiert dieses Thema im Bereich Automotive zum ersten Mal. Literaturdaten wurden zwangsläufig aus anderen Forschungsfeldern herangezogen. Beispielsweise aus Studien mit Kampfkünstlern ist bekannt, welchen Einfluss die Anspannung des Oberschenkelmuskels auf dessen Verhalten beim Aufprall eines Medizinballs auf den Schenkel hat. Die Ergebnisse der Simulation unter den jeweiligen Steifigkeitsannahmen korrespondierten mit den Experimenten.
In seiner Arbeit konnte Trube zeigen, dass die Muskelsteifigkeit einen wesentlichen Einfluss auf das Verhalten der Fahrzeuginsassen hat und potenziell unterschiedliche Verletzungen je nach Steifigkeitsgrad der Muskeln im Crashlastfall zu erwarten sind. Diese Erkenntnisse bilden die Basis für eine Anwendung in diversen Muskelmodellen, Menschmodellen und weiteren Anwendungsbereiche, wie beispielsweise der Berücksichtigung der Muskelsteifigkeit in Sitzkomfortanalysen.
Zudem fordert Trube in seiner Arbeit eine Abhängigkeit der Muskelsteifigkeit von dem aktuellen Muskelkontraktionsgrad der 1D-Elemente, die bislang in keinem Muskelmodell implementiert ist. Um die genannten offenen Punkte zu spezifizieren, bedarf es weiterer Studien.
Es gibt also noch viel zu tun. Diese Gelegenheit hat Niclas Trube seit dem 1. November 2018 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am EMI. Damit setzt er seinen Werdegang am Institut konsequent fort, wo er 2016 als wissenschaftliche Hilfskraft im Rechenzentrum begonnen und 2017 in die Gruppe Materialmodellierung von Dr. Matthias Boljen für ein Praktikum und die anschließende Masterarbeit gewechselt hatte.
Link zur Pressemeldung von carhs.training: http://www.safetywissen.com/#/object/A11/A11.0ym736992n4dwy60pvj38670ewp4ie63676061070/safetywissen