Ein zentrales Thema des Geschäftsfelds Raumfahrt ist der Schutz von Raumfahrtsystemen gegen Space-Debris- und Meteoroiden-Einschläge. Der Schwerpunkt liegt auf experimentellen Untersuchungen zur Qualifizierung von Raumfahrzeugkomponenten sowie der Untersuchung der Wirkung von Einschlägen, Beratung und Risikoanalysen.
Seit Anfang der 1980er Jahre ist bekannt, dass neben Meteoroiden auch die Rückstände früherer Raumfahrtmissionen in erdnahen Umlaufbahnen in zunehmendem Maße eine Bedrohung für die bemannte und unbemannte Raumfahrt darstellen. Vor allem in erdnahen Umlaufbahnen, in einer Höhe zwischen 200 km und 2000 km über der Erdoberfläche, geht ein beträchtliches Risiko von Kollisionen mit Weltraummüll aus, das bei der Planung von Raumfahrtmissionen berücksichtigt werden muss. Auch bei kurzen Aufenthaltsdauern im Orbit ist mit einer signifikanten Zahl kleiner und kleinster Einschläge auf die Außenhaut von Raumfahrzeugen zu rechnen. Beispielsweise mussten auf fast jeder Mission des »Space Shuttle« eine oder mehrere Fensterscheiben ausgetauscht werden, weil Impaktschäden die Scheiben unbrauchbar gemacht hatten. Auch der 1990 mit dem US Shuttle nach einer sechsjährigen Missionsdauer auf die Erde zurückgebrachte LDEF-Satellit (Long Duration Exposure Facility) war von Impaktschäden überzogen: Die Schäden sind hauptsächlich durch kleinste Aluminiumfragmente, Lackflitter und Rückstände von Feststofftriebwerken verursacht worden, die mit einer Geschwindigkeit von bis zu 15 Kilometern in der Sekunde auf die Außenhaut einschlugen. Besonderes Interesse galt dem Schutz bemannter Missionen, beginnend mit den Mitte der 1980er Jahre initiierten Arbeiten zur Auslegung der Schutzstruktur für das Europäische Modul »Columbus« der Internationalen Raumstation ISS. Die Entwicklung leistungsfähiger Schutzschilde, die bis zu einen Zentimeter große Schrottteilchen abwehren können, wurde gemeinsam mit Industriepartnern vorangetrieben.
Zu diesem Zweck werden am Fraunhofer EMI unter repräsentativen Funktionsbedingungen (z.B. Vakuum- und thermale Bedingungen) Impaktexperimente im Hypervelocity-Geschwindigkeitsbereich an europaweit einzigartigen Leichtgas-Beschleunigeranlagen zur Untersuchung komplexer, technisch relevanter Versagensfälle durchgeführt. Beispiele hierfür sind experimentelle Studien zu impakt-induzierten elektrischen Entladungen auf Solargeneratoren oder der impakt-induzierte Ausfall druckbeaufschlagter oder elektrischer Satelliten-Systemkomponenten. Hierbei kann der Einschlag von Objekten mit Erdorbitalgeschwindigkeit bis in den Zentimeterbereich experimentell untersucht werden.
Eine deutliche Verschärfung der Weltraummüllproblematik läutete die Zerstörung des chinesischen Wettersatelliten Fengyun-1c in einer Höhe von circa 850 Kilometern am 11. Januar 2007 über chinesischem Staatsgebiet ein. Durch dieses Ereignis entstanden mehrere tausend beobachtbare Trümmer in einer vielgenutzten Umlaufbahn speziell für Erdbeobachtungssatelliten. Dadurch erhöhte sich in dieser Umlaufbahn schlagartig das Risiko einer missionskritischen Kollision um 50 Prozent. Dieses Ereignis sowie die ebenfalls katastrophale – wenngleich zufällige – Kollision zwischen dem Iridium 33 und dem Cosmos 2251-Satelliten am 10. Februar 2009, die weitere 1500 beobachtbaren Trümmern erzeugte, führten dazu, dass erstmals Vorboten eines Kaskaden-Effekts gesehen wurden, bei dem vorhandene Trümmer miteinander kollidieren und dadurch die Anzahl an Weltraummülltrümmern in die Höhe schnellen lassen. Damit zeichnet sich ab, dass das Thema Weltraummüll die Raumfahrt über viele Jahrzehnte hinweg beschäftigen wird. Da die Gefahr von Kollisionen zwischen Satelliten und Weltraumtrümmern stetig steigt, wird es auch immer wichtiger, das Verhalten bei der Kollision und Zerlegung von Satelliten in viele Trümmer besser zu verstehen und zu beschreiben, um damit das Risiko für Sekundärschäden an operationellen Satelliten auf nahegelegenen Umlaufbahnen besser vorhersagen zu können. Effekte bei der Kollision und Fragmentierung von Satelliten werden am EMI im Modellmaßstab untersucht.
Derzeit ist nahezu unbekannt, wie stark die geplanten Megasatellitenkonstellationen für zukünftige weltweite Telekommunikationsdienste aus erdnahen Umlaufbahnen das Problem des Weltraummülls verschärfen werden. Zurzeit wird in Fachkreisen davon ausgegangen, dass einzelne Umlaufbahnen dadurch noch erheblich stärker als bisher verschmutzt werden. Daher ist es notwendig, durch Weltraummüll und Mikrometeoroiden gefährdete Komponenten von Raumfahrzeugen zu identifizieren und gegebenenfalls mit speziellen Schutzanordnungen zu versehen. Am EMI wurde zu diesem Zweck eine Software zur Untersuchung von Impaktvorgängen auf Raumfahrzeugen entwickelt: PIRAT »Particle Impact Risk and Vulnerability Assessment Tool«. Die Verwundbarkeitsanalyse-Software PIRAT steht zur Berechnung der Versagenswahrscheinlichkeit eines kompletten Satellitendesigns oder einzelner Komponenten in Abhängigkeit von der Flugbahn einer konkreten Mission und den hierfür zu erwartenden Partikel- oder Objekteinschlägen zur Verfügung. Basierend auf den Ergebnissen der Verwundbarkeitsanalysen werden Schutzkonzepte und technische Lösungen zur Steigerung der Überlebensfähigkeit von Raumfahrtsystemen gegenüber Einschlägen von Partikeln und Objekten der Weltraumumgebung entwickelt.
Ein weiteres Thema ist die Entwicklung und Qualifizierung wissenschaftlicher Nutzlasten zur Erfassung und Charakterisierung der Einschläge von Space Debris und Mikrometeoroiden auf Satelliten. Die Detektion von Einschlägen und Entschlüsselung der Parameter des einschlagenden Teilchens können als In-situ-Sensorik zur Unterstützung des Satellitenbetriebs und einer verbesserten Störfallanalyse dienen sowie für zukünftige Risikoanalysen wichtige Informationen über die Partikelpopulation im Weltraum liefern.