EMI: Wie bist Du in die Forschung gelangt?
Heusinger: Nachdem ich mit dem Studium fertig war, habe ich mich nach Stellen umgesehen. Hier hatte ich dann die Wahl zwischen einer Stelle in der Forschung am Fraunhofer EMI oder einem Job in der Industrie. Für die Forschung habe ich mich entschieden, weil sie für mich spannender und auch flexibler ist: Ich darf das machen, was mich interessiert und auf Grundlage meiner eigenen Ideen neue Dinge entwickeln. Am EMI kann ich Neues entwickeln und ständig dazulernen.
EMI: Wie würdest Du deine Arbeit am EMI beschreiben?
Heusinger: Ich glaube, das schönste Wort dafür ist »abwechslungsreich«. Ich habe die Freiheit, mir nach eigenem Interesse Themen zu suchen, mit denen ich mich auseinandersetzen möchte. Auf der anderen Seite wird mir durch die Anwendungsorientierung des EMI ein Rahmen für meine Forschung gesetzt, da unsere Arbeit immer in Bezug zur Anwendung steht. Dadurch stehen wir als Forschende auch ständig in einem spannenden Austausch mit den Endanwender:innen, deren Anfragen meist extrem divers sind. Die Bearbeitung dieser Anfragen mündet am EMI dann meist in einem Gemeinschaftsprojekt. Institutsweit wird uns oft geholfen, da die Vernetzung innerhalb der Abteilungen am EMI äußerst gut ist. Besonders aber in der jeweiligen Arbeitsgruppe, in der wir eng zusammenarbeiten und befreundet sind, gestaltet sich unsere Arbeit sehr gemeinschaftlich.
EMI: Warum ist Fraunhofer eine attraktive Arbeitgeberin für Dich?
Heusinger: Ich habe bei Fraunhofer einen starken Einfluss darauf, was ich erforsche und wie ich arbeite. Auch ermöglicht mir Fraunhofer eine sehr gute Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Nach dem Prinzip von New Work kann ich beispielsweise meine Arbeitszeiten frei gestalten. Hinzukommen viele Frauenfördermaßnahmen, die Fraunhofer für mich attraktiv machen.
EMI: Wie schätzt Du die Hürden für Frauen in MINT-Fächern ein?
Heusinger: Ich habe es bis jetzt so erlebt, dass Frauen immer in der Unterzahl waren. Allerdings wird es besser. Heute sind die Hürden eher in den Köpfen als strukturell gegeben, denke ich.
Ich kann aus meiner Perspektive nur sagen: Ich bin jetzt seit 25 Jahren im technischen Bereich unterwegs und hatte selten den Eindruck, dass jemand mit mir als Frau das Problem hatte, sondern eher deshalb, weil ich relativ direkt bin, da kommen manche nicht mit klar.
Meiner Meinung nach ist es für Frauen problemlos möglich, einen technischen Beruf zu ergreifen. Auch weil die Leute in dieser Branche sehr Logik-getrieben sind. Rein strukturell sehe ich in den MINT-Bereichen wenig Probleme für Frauen. Ich denke eher, dass Frauen auch viel von außen eingeredet wird. Dennoch muss es mehr Frauen geben, die dort arbeiten wollen.
EMI: Woher kommen dann die geringen Zahlen von Frauen? Muss man da mutig sein wie Du und sich durchsetzen können? Kannst Du uns etwas zu Deinem Werdegang sagen?
Heusinger: Mein Weg war kein gerader. Ich hatte »nur« einen Realschulabschluss und habe dann das Berufskolleg besucht, wodurch ich die Fachhochschulreife erlangt habe. Dass ich mich im Anschluss für die Technik entschieden habe, lag vor allem daran, dass ich schon immer gut in Mathe war und viel Spaß am logischen Schlussfolgern hatte. Danach habe ich dann ein Vordiplom in Elektrotechnik an der FH Nürnberg gemacht, weil ich damit die fachgebundene Hochschulreife erlangen und so endlich Mathematik studieren konnte. Jedoch stellte sich das als Fehlinformation des Berufsinformationszentrums heraus und ich durfte damit ausschließlich Elektrotechnik studieren. Deswegen habe ich dann ein Mathe-Vordiplom absolviert und bin damit dann an die Universität gegangen. Dass es bei mir nicht so geradlinig verlief, hat mir aber nicht geschadet. Im Gegenteil: Es war gut, E-Technik studiert zu haben. Bei Letzterem waren es immer drei Frauen unter 30 Männern, dann acht Frauen unter 250 Männern. Demnach wurden die Verhältnisse von Mann und Frau immer ausgeglichener. Für mein Mathematikstudium bin ich dann an die Uni Gießen gegangen und habe daraufhin als Wissenschaftlerin auf Promotionsstelle am EMI angefangen. Mein Doktorvater war Professor Fiederle aus dem Freiburger Materialforschungszentrum, am EMI haben mich Siegfried Nau und Stefan Hiermaier betreut.
EMI: Wie hat sich Deine Karriere mit der Promotion weiterentwickelt?
Heusinger: Anfang 2019 habe ich meine Promotion abgeschlossen. Zeitgleich kam das neue Thema KI auf, das zuvor von mir behandelten Themen ähnelte und mit dem ich mich als Mathematikerin beschäftigen sollte. Ich habe daraufhin in unserer Abteilung diesen Themenkomplex der KI neu aufgebaut, auch weil es aktuell ein Trend-Thema ist und wir Auswertungen machen, bei denen sich die Thematik anbietet. Da das Thema gerade sehr populär ist und ich in den letzten Jahren in der Akquise in diesem Bereich sehr stark war, hat sich der Fokus der Gruppe immer weiter in Richtung intelligente Datenauswertung bewegt. Irgendwann kam dann der Punkt, an dem wir gesagt haben, dass es sinnvoll wäre, mir die Gruppenleitung zu übertragen. Mein Vorgänger wollte ohnehin in die Richtung Fachkarriere und Senior Scientist gehen (Anm. der Redaktion: eine Möglichkeit bei Fraunhofer, um eine Fachkarriere oder eine Führungskarriere anzustreben). Also leite ich jetzt die Gruppe mit Schwerpunkt Datenauswertung.
EMI: Wie sind die Karrierechancen in der Wissenschaft ohne Promotion?
Heusinger: Es kommt darauf an. Am EMI ist es von Vorteil, während es im wissenschaftlichen Bereich – beispielsweise für eine Karriere an der Uni oder Professur – zwingend ist. Was man mit der Promotion tatsächlich nachweist, ist gar nicht so sehr, dass man in einem Thema Profi ist –sobald man aufhört, sich mit einem Thema so intensiv zu beschäftigen, ist man das nicht mehr. Vielmehr wird dadurch unterstrichen, dass man Wissenschaftlerin ist und sich sehr tief in ein Thema einarbeiten kann. Auch beweist eine Promotion Durchhalte- wie auch Stehvermögen, da eine Promotion massiv am eigenen Nervenkostüm kratzt. Es bleibt nicht aus, dass man die Ellenbogen ausfahren muss, egal ob bei Fraunhofer oder woanders. Diese Fähigkeiten hat man nachgewiesen – auch einem potenziellen Arbeitgeber. Der Titel ist also für eine Karriere förderlich.
EMI: Ist es für Frauen wichtiger zu promovieren als für Männer?
Heusinger: In den Naturwissenschaften hatte ich nicht den Eindruck, dass es einen Unterschied macht. Es ist für beide Geschlechter ein Qualifizierungsnachweis. In Bereichen, in denen man sich als Frau massiv beweisen muss (beispielsweise in der Wirtschaft) ist es wesentlich wichtiger.
EMI: Wenn es neben 250 Männern nur 8 Frauen in der Vorlesung sind, muss doch ein Strukturelles Problem vorliegen?
Heusinger: Ja, aber das ist weiter vorne in jüngerem Alter. Mein Eindruck ist, dass es jetzt besser wird. Beim Wechsel von Diplom auf Bachelor ging die Frauenquote nach oben, auch in den Ingenieurwissenschaften. Die Problematik ist in den Köpfen der Menschen und fängt in der Schule und im Elternhaus an. Im Studium wird ja viel dafür getan, Frauen in diese Bereiche zu bringen. Als Beispiel für die Förderung von Mädchen im MINT-Bereich kann hier der GirlsDay genannt werden.
Es braucht ein gesellschaftliches Umdenken bei Eltern, in der Grundschule, bei den Lehrer:innen. Du musst es als Frau einfach wagen, da in den MINT-Bereich zu gehen.
EMI: Abschlussfrage: Was rätst Du Nachwuchswissenschaftlerinnen, wenn sie eine Karriere in den Naturwissenschaften anstreben?
Heusinger: Traut Euch! Es ist machbar, es ist in der Regel völlig unproblematisch. Macht es einfach, es spricht nichts dagegen!
EMI: Danke für das interessante Gespräch!