Projektile benötigen für eine hohe Fluggeschwindigkeit und zur Einwirkung auf ein Ziel kinetische Energie, die durch einen innenballistischen Antrieb bereitgestellt wird. Im Ladungsraum einer Rohrwaffe erfolgt zunächst die Anzündung der Treibladung. Diese besteht üblicherweise aus einer großen Anzahl von Treibladungspulver-Körnern, die eine bestimmte Geometrie und spezifische Abbrandeigenschaften aufweisen. Der Gasdruck im Ladungsraum steigt in kurzer Zeit stark an und das Projektil beginnt zu beschleunigen. Die heißen Pulvergase strömen durch das Waffenrohr und treiben das Projektil an, bis es die Rohrmündung verlässt. Für eine hohe Mündungsgeschwindigkeit sollte der Druck schnell und stetig ansteigen, sowie über einen möglichst langen Zeitraum anliegen, ohne dass es zu einer Überlastung von Waffe oder Munition kommt. Das Fraunhofer EMI stellt für Amtsseite und Industrie Simulationsprogramme bereit, mit denen sich für das jeweilige Anforderungsprofil geeignete Lösungen für die Auslegung ableiteten lassen, wie zum Beispiel Anforderungen an eine gesteigerte Reichweite für zukünftige Artilleriesysteme. Ebenso ermöglichen diese Simulationsprogramme, Aspekte zur sicheren Handhabung zu beurteilen.
Zeitenwende
In der Zeit nach dem Ende des Kalten Kriegs war das Einsatzprofil der Bundeswehr geprägt vom Übergang von der Landes- und Bündnisverteidigung zu Out-of-area-Einsätzen. Dies machte sich in der Ausrüstung der Truppe deutlich bemerkbar. Rohrwaffen, insbesondere für Kampfpanzer und Artillerie, verloren an Bedeutung, denn es bestand eine technische Überlegenheit gegenüber Gegnern in asymmetrischen Konflikten. Seit der Annexion der Krim durch die Russische Föderation im Jahr 2014 und insbesondere dem Überfall auf die Ukraine und der danach eingeläuteten Zeitenwende im Jahr 2022 hat sich dies massiv geändert. Die Fähigkeit, militärische Konflikte mit hoher Intensität unter Einsatz von schweren Waffen zu führen, sowie die Wirkung gegen klassische Ziele auf dem Gefechtsfeld, insbesondere schwere Kampfpanzer mit enorm hohem Schutzniveau, sind innerhalb kurzer Zeit wieder in den Fokus gerückt.
Leistungssteigerung von Rohrwaffen wieder im Fokus des Interesses
Da über viele Jahre eine Modernisierung ausgeblieben ist, kann nicht mehr von einer Überlegenheit der eigenen Wirkmittel ausgegangen werden. Für eine Leistungssteigerung bestehender Systeme oder die Entwicklung neuer, leistungsgesteigerter Rohrwaffen und der zugehörigen Munition werden moderne Softwaretools für die Auslegung und Beurteilung benötigt. Diese müssen auf dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand basieren und in Abhängigkeit von den getroffenen Annahmen die innenballistischen Abläufe zuverlässig vorhersagen können. Vor diesem Hintergrund arbeitet das Fraunhofer EMI daran, eine Familie moderner Innenballistikprogramme mit der Bezeichnung SimIB (Simulationstool InnenBallistik) zu erstellen. Diese soll die im Wesentlichen aus den 1980er- und 1990er-Jahren stammenden und bislang für derartige Berechnungen verwendeten Programme ersetzen und den zukünftigen nationalen Standard bilden.