INACHUS – Unterstützung für Einsatzkräfte bei Erdbeben
Erdbebenereignisse können schnell zu chaotischen und unübersichtlichen Situationen sowie erschwerten Arbeitsbedingungen für Such- und Rettungstrupps führen, wie beispielsweise das Erdbeben 2009 in L’Aquila gezeigt hat. Es gilt, schnelle Entscheidungen zu treffen, um potenziell verschüttete Personen zu lokalisieren.
Im Rahmen des EU-Projekts INACHUS (Technological and Methodological Solutions for Integrated Wide Area Situation Awareness and Survivor Localization to Support Search and Rescue Teams) hat ein Konsortium von 20 Partnern ein Konzept erarbeitet, das Such- und Rettungstrupps mit technischen Hilfsmitteln einen besseren Überblick über die Situation liefert. Die Lösungen steigern die Reaktionsschnelligkeit bei der Ortung und Bergung verschütteter Personen mithilfe neuer Sensoren, Simulationsmethoden und Möglichkeiten zur Lagebilderstellung. Als Leiter eines Arbeitspakets lieferte das Fraunhofer EMI einen wichtigen Anteil im Bereich der Simulation. Auf zwei verschiedenen Skalen wurden ganze Stadtviertel oder einzelne Gebäude bewertet und folgende Fragen beantwortet:
• Stadtviertelanalyse: Wie muss der Rettungseinsatz priorisiert werden?
• Gebäudeanalyse: Wo befinden sich Hohlräumeim kollabierten Gebäude?
Zur Bewertung von ganzen Stadtvierteln wurde die Software VITRUV (Vulnerability Identification Tools for Resilience Enhancements of Urban Environments) weiterentwickelt und eingesetzt, um effizient potenzielle Schäden nach Erdbebenereignissen zu charakterisieren. Hierzu wurde ein funktionaler Zusammenhang zwischen seismischer Aktivität und zu erwartenden Gebäudeschäden entwickelt. Die Europäische Makroseismische Skala, die Berücksichtigung von Echtzeitdaten oder semiempirische Modelle über Magnitude und Epizentrum ermöglichen die Abschätzung der Bodenbeschleunigung an beliebigen Positionen im städtischen Gebiet. Im nächsten Schritt kann mithilfe eines Ingenieurmodells der zu erwartende Schaden abgeschätzt werden. Diese Methodik wurde für eine Vielzahl verschiedener Konstruktionsarten angewandt, um so ein städtisches Gebiet zu bewerten. Darüber hinaus wurde eine Methodik entwickelt, um in Abhängigkeit von Gebäudenutzung, Wochentag und Tageszeit die Anzahl der anwesenden Personen im Gebäude abzuschätzen. Beispielsweise ist an einem Sonntagmorgen in Wohngebäuden im Gegensatz zu Schul- oder Bürogebäuden mit höheren Belegungen zu rechnen. Diese Informationen können mit den prognostizierten Schäden kombiniert werden, um Schwachstellen zu identifizieren und Entscheidungsunterstützung bei der Priorisierung eines Rettungseinsatzes zu liefern.
Im Rahmen des Projekts wurde eine Kooperation mit einer Firma geschlossen, die 3D-Stadtmodelle erstellt und verwaltet. Ein erster Demonstrator stellte eine Verknüpfung zwischen einem solchen Modell und den Erdbebenalgorithmen her. An dieser Schnittstelle wird weiter gearbeitet, sodass Entscheidungsträger über einen Webservice Zugriff auf Risiko- und Resilienzanalysen erhalten und diese mit 3D-Stadtmodellen, welche bei vielen Kommunen schon vorliegen, koppeln können.
Neben der multiplen Gebäudebewertung wurde das Trag- und Einsturzverhalten von Einzelgebäuden analysiert. Nach der Recherche zu möglichen Einsturzarten und Konstruktionsausführungen lag der Fokus des Forschungsprojekts auf einer Liste spezieller Bauweisen. Hierbei wurde die Relevanz aus der Sicht von Such- und Rettungstrupps berücksichtigt. Im nächsten Schritt wurden verschiedene Simulationsmethoden, wie Finite-Elemente-Methoden, Diskrete-Elemente-Methoden und Applied Element Methods, verglichen und genauer untersucht. Mithilfe von Validierungsfällen auf Bauteil- und Gebäudeebene konnten Aussagen zur Genauigkeit der jeweiligen Simulationsmethode getroffen werden. Schließlich wurde für eine Vielzahl verschiedener Konstruktionsarten und Belastungsintensitäten der potenzielle Einsturz eines Gebäudes simuliert.
Als weiteres Resultat wurde ein Algorithmus entwickelt, der die dreidimensionalen Kollapssimulationen aufgreift und potenzielle Hohlräume identifiziert. Mithilfe des Cavity Identification Tools kann somit ein dreidimensionales »Negativ« eines Schutthaufens erstellt und visualisiert werden. Die Resultate der Simulationen und der Hohlraumidentifizierung sind in einer Datenbank gespeichert und in der Softwarelösung eines Projektpartners integriert. Diese Informationen liefern einen Beitrag zur georeferenzierten Erstellung von Lagebildern, welche Einsatzkräften im Notfall- und Rettungswesen unterstützend Informationen zur Durchführung eines Bergungseinsatzes liefert.