Agentenbasierte Simulation von Verkehrsgeschehen
Wandel im Straßenverkehr
In den kommenden Jahren wird sich der Straßenverkehr immer stärker verändern. Automatisierung und Diversifizierung der Kraftfahrzeuge auf der einen Seite treffen dabei auf sich stark entwickelnde, multimodale urbane Verkehrskonzepte. Gleichzeitig haben die Europäische Union und die Bundesregierung »Vision Zero« als Ziel ausgegeben: keine Toten mehr im Straßenverkehr bis 2050. Vor diesem Hintergrund kommt die Simulation von Verkehrsgeschehen als ein wichtiger wissenschaftlicher Ansatz zum Tragen.
Verkehrsprognose durch realistische Simulation
In den letzten Jahren wurde eine Vielzahl von Simulatoren entwickelt, die es erlauben, die Trajektorien von Fahrzeugen auf vorgegebenen Strecken zu simulieren. Damit lassen sich beispielsweise städteplanerische Maßnahmen, zum Beispiel zur Stauvermeidung, unterstützen. In der aktuellen Forschung ist insbesondere die realistische Nachbildung von Unfällen und kritischen Verkehrssituationen in den Fokus gerückt. Damit lassen sich auch das Zukunftsthema automatisiertes Fahren und vor allem die dafür notwendigen Etablierungsprozesse mehr und mehr simulativ angehen.
Agentenbasierte Verkehrsflusssimulation
Zentraler Baustein der agentenbasierten Verkehrsflusssimulation ist die Steuerung des Fahrverhaltens der Agenten durch parametrische Modelle. Jeder Agent bekommt, meist zu Anfang seiner Simulation, Werte für alle Modellparameter zugewiesen, welche seine Reaktion auf verschiedene Situationen im Laufe der Simulation beeinflussen. Neben der Wunschgeschwindigkeit und bevorzugten Be- und Entschleunigungswerten werden dabei auch Parameterwerte gesetzt, welche beispielsweise die Bereitschaft, Geschwindigkeitsgrenzen zu überschreiten oder sich auf mehrspurigen Straßen rechts zu halten, angeben.
Das Fraunhofer EMI setzt die Simulationsumgebung openPASS ein, um verschiedene gegebene Verkehrssituationen, beispielsweise Autobahnverkehr, zu betrachten. In openPASS werden die Parameterwerte der Agenten zumeist aus statistischen Verteilungen gezogen und die Simulation über Angabe der Verteilungsparameter (beispielsweise Mittelwert und Standardabweichung) initiiert.
Datenbasierte Optimierung der Fahrendenmodelle
Ein geeignetes Simulationsmodell vorausgesetzt, hängt die realistische Verkehrsnachbildung durch Simulationsmodelle im Wesentlichen von der Wahl der Parameterwerte ab. In der Literatur werden die Werte teilweise empirisch oder anhand von kleinen Datensätzen für spezifische Subprozesse bestimmt.
Das Fraunhofer EMI hat seinen Schwerpunkt darauf gelegt, die Modellparameter auf Basis vorhandener mikroskopischer und makroskopischer Verkehrsflussdaten zu bestimmen. Ziel dabei ist es, dass die relevanten statistischen Größen des simulierten Verkehrs mit dem real aufgenommenen Verkehr übereinstimmen. In Zusammenarbeit mit der Daimler AG wurde im Rahmen des Tech Center i-protect dazu eine Machbarkeitsstudie durchgeführt, in der die Umsetzbarkeit datengetriebener Optimierungsmethoden geprüft wurde. Innerhalb der Machbarkeitsstudie wurde ein semi-automatisiertes Optimierungsverfahren entwickelt, das auf der Anpassung der prognostizierten und gemessenen Trajektorien beruht. Die wesentliche Herausforderung besteht dabei in der Definition einer Bewertungsfunktion, die den Unterschied zwischen Daten und Simulationsergebnis auf einen numerischen Wert reduziert. Um den Fokus der statistisch korrekten Verkehrsnachbildung zu berücksichtigen, wurde die Bewertungsfunktion über den Unterschied der Verteilungen verschiedener Messgrößen (beispielsweise der mittleren Geschwindigkeit der Trajektorien) definiert. Schließlich werden die optimalen Modellparameter durch einen iterativen Optimierungsalgorithmus bestimmt. Dieser beruht im Wesentlichen auf einer systematischen Variation der Modellparameter bis hin zu einem minimalen Wert der Bewertungsfunktion.
Ausblick: realistische Simulation kritischer Situationen
In der Machbarkeitsstudie zur Optimierungsmethode lag der Fokus zunächst auf der realistischen Nachbildung des Normalverkehrs. Im Fokus weiterer Arbeiten liegt ein Schwerpunkt auf der Nachbildung kritischer Verkehrssituationen wie Beinaheunfällen im Straßenverkehr. Diese eher seltenen Ereignisse sollen sowohl quantitativ als auch qualitativ korrekt nachgebildet, also in der vorgegebenen Häufung und Entstehungsart in der Simulation abgebildet werden. Insbesondere soll dabei auch die Betrachtung von Fuß- und Fahrradverkehr bei der Entstehung kritischer Situationen eine Rolle spielen.