Wheelcharity – wir bringen den Rollstuhlfahrendenschutz ins Rollen!
Im Rahmen der institutsinternen Initiative FastTrack wurde das mehrköpfige Projektteam Wheelcharity gefördert. Ziel des Projekts ist es, Erkenntnisse zum Unfallverhalten von Rollstuhlfahrenden (Wheelchair Users, WCUs) zu gewinnen, mögliche Verletzungsrisiken zu identifizieren, Optimierungspotenziale aufzuzeigen und beispielhaft auf Anwendbarkeit zu testen.
Höheres Sterberisiko von Menschen im Rollstuhl in Verkehrsunfällen
Hintergrund: Im Verkehrsunfall ist das Sterberisiko von Menschen im Rollstuhl 36 Prozent höher als von solchen, die zu Fuß am Verkehr teilnehmen, wie aus einer Studie der Autoren John D. Kraemer und Connor S. Beton aus dem Jahr 2015 (BMJ Open) bekannt ist. Laut dem Global Status Report on Road Safety 2018 der World Health Organization führten Verkehrsunfälle im Zeitraum 2000 bis 2016 weltweit zu 1,35 Millionen Toten, wobei mehr als die Hälfte auf verletzliche Verkehrsteilnehmende (Vulnerable Road Users, VRUs) zurückgeht. WCUs werden ebenfalls zu dieser Gruppe der VRUs gezählt, werden in Statistiken jedoch selten erwähnt. Basierend auf den verfügbaren Daten wird deutlich, dass WCUs einem erhöhten Risiko in Verkehrsunfällen ausgesetzt sind. Zu den häufigsten WCU-Unfällen gehören Kollisionen mit Kraftfahrzeugen, wobei das Fahrzeug (Pkw, Lkw, Bus) meist ungebremst an innerstädtischen Kreuzungen mit dem WCU kollidiert. Aktuelle Testmethoden zur VRU-Sicherheit des European New Car Assessment Programme (Euro NCAP) berücksichtigen Erwachsene und Kinder ohne körperliche Behinderung. Aktuell ist unklar, inwieweit sich WCUs von gesunden Fußgängern hinsichtlich Kinematik, Verletzungsschwere und Hauptbelastungsregionen in Fahrzeugkollisionen unterscheiden. Unterschiedliche Haltung, Kopfhöhe und Massezentrum legen einen gewissen Unterschied nahe, der bislang nicht untersucht wurde.
Wie verhält sich ein Rollstuhlfahrer im Vergleich zum Fußgänger im Crash?
Ein Teil des Projekts Wheelcharity ist die Sicherheitsanalyse, basierend auf numerischer Simulation der WCU-Fahrzeug-Kollision. Die Gruppe Human Body Dynamics am Fraunhofer EMI verwendet hierfür Finite-Elemente-Menschmodelle des 50. Perzentils des Mannes sowie Modelle des Rollstuhls und des Pkw. In einer ersten vergleichenden Studie konnte gezeigt werden, dass sich das Bewegungsmuster des WCU deutlich vom Fußgänger unterscheidet. Während sich der Fußgänger in einer gleichmäßigen Bewegung um die Fahrzeugfront biegt, wirkt der WCU-Impakt eher abrupt. Für Fußgänger zeigt sich, basierend auf Kraftwerten und HIC-Werten (Head Injury Criterion, Kopfverletzungskriterium), ein höheres Kopfverletzungsrisiko als für Rollstuhlfahrer, was auf den intensiveren Kontakt mit der Windschutzscheibe zurückgeführt wird. Im HIC-Wert sind rotatorische Anteile, die für den Rollstuhlfahrer anhand der beobachteten Kinematik relevanter erscheinen, jedoch nicht berücksichtigt. Die gewonnen Daten müssen dahingehend in Zukunft weiter ausgewertet werden. Die Knochenbruchvorhersage basierend auf Dehnungsgrenzwerten zeigt, dass für den WCU an mehr Stellen Knochenbrüche zu erwarten sind als für den Fußgänger, die sich vorrangig im Hüft- und Oberkörperbereich lokalisieren. Der Grund hierfür scheint der zusätzliche Kontakt mit dem Rollstuhl, die unterschiedliche Haltung sowie das tieferliegende Massezentrum zu sein, wodurch die gesamte Fahrzeugmasse über den Rollstuhl seitlich auf den Oberkörper des WCU einwirkt. Zur Validierung des Kollisionsverhaltens von Crashtestdummys und Finite-Elemente-Menschmodellen werden üblicherweise Literaturdaten aus Kollisionsversuchen mit gespendeten Körpern Verstorbener (Post Mortem Human Subjects, PMHS) verwendet. Eine Limitierung der Studie ist eine fehlende Validierungsbasis, da die nötigen Vergleichsdaten für Rollstuhlfahrer in der Fachliteratur nicht vorliegen.